Mandø – Mit seinen Gedanken allein

Die Gedanken sind frei, 

wer kann sie erraten?

Sie fliegen vorbei 

wie nächtliche Schatten.

Kein Mensch kann sie wissen,

kein Jäger sie schießen.

Es bleibet dabei –

die Gedanken sind frei!

Mandø. Eine kleine dänische Insel im Westen Dänemarks. Nur erreichbar, wenn die Nordsee den sog. Låningsvej freigibt, soll heißen: Bei Ebbe. 


11 km in Richtung Westen von Vester Vedsted aus schlängelt sich der Schotterweg durch ein wahres Vogelparadies. 273 verschiedene Vögel soll dieses kleine Stückchen Land beherbergen. Und unseren Weg kreuzen Fischreiher, Silberreiher und Strandläufer. Aber auch große Brachvögel, Weißwangen-, Grau- und Nonnengänse, Austernfischer, Kormorane, Krickenten und sogar ein Säbelschnäbler. Ein Sirren und Zwitschern liegt in der Luft. Es ist bitterkalt so früh am Morgen, doch die Vögel scheint das nicht zu stören. Gerade die Gänse, die in den letzten Tagen aus Grönland eingetroffen sind, schnattern was das Zeug hält. Wie alte Kaffeetanten erzählen sie in den mit Wasser gefüllten Tümpeln; bis ein neuer Trupp zur Gruppe stößt. Es ist faszinierend, das zu beobachten. 

Irgendsoein weiser Mensch hat mal gesagt, dass sich der Puls verlangsamt und man zur Ruhe kommt, wenn man ins Grüne   blickt. Bei mir hat das Meer denselben Effekt. Ich bin ganz ruhig und ganz bei mir. Dazu das beständige Rumpeln des Weges, die Wärme im Auto, die Vorfreude. 


Wir rollen über den Deich und sehen die ersten Bewohner der Insel. Die meisten von ihnen in dicke weiße Wolle gekleidet, einige auch in braune, stehen sie da, und schauen uns aus großen Augen an – die Mandø-Schafe. 


Der ab dem schützenden Deich nun geteerte Weg bringt den Besucher vorbei an der Mølle (Mühle), am alten Kro, der Touristinformation und dem Museum hin zum Landhandel.



Inselbaron und Frontmann von Mandø Event Benny begrüßt uns, als würden wir uns schon ewig kennen. Wir hatten einige E-Mails ausgetauscht, ja, aber es geht eine Herzlichkeit von ihm aus, die man selten findet. Er zäumt gerade die Pferde an für eine seiner Touren. Es gibt Seehundsafaris, Austerntouren, Sonnenuntergangstouren und vieles mehr. Kombinationen wie es beliebt? Kein Problem. 

Eine Seehundsafari hatte ich gebucht, aber erst für morgen. Benny nickt, lächelt und freut sich; dann drückt er uns den Schlüssel für unsere Ferienwohnung in die Hand. Seine Frau hat gerade alles fertig gemacht. 

Die Ferienwohnung in Æ‘ Towt ist gemütlich eingerichtet, und unsere Begrüßungspakete verschlagen uns schlichtweg den Atem. Vier Boxen, säuberlich beschriftet mit „Hovedret“ (Hauptgericht), „Forret“ (Vorspeise), „Dessert & Vin“ (Dessert und Wein) und mit den leckersten Zutaten gefüllt – alle Bio, aus der Region und saisonal – stehen auf der Anrichte bereit. Auch fürs Frühstück ist gesorgt. Dazu noch ein Willkommenskorb mit Apfelsinen und Äpfeln sowie einer Flasche Champagner. Mir fehlen die Worte. Ich bin sprachlos. Da liegen sogar noch Rezepte bei! Eine Mission für das Fräulein Fliegenpilz!

Nachdem wir uns von dem ersten „Schock“ erholt haben, laden wir die Sachen aus dem Auto. Das Wetter ist herrlich. Es ist zwar kalt, aber die Sonne scheint, und wir beschließen, den Weg zum Strand einzuschlagen. 


Vorbei an der Mühle, in der in der Saison ab und an sogar Korn gemahlen wird, über den ausgewiesenen Weg. 


Und dort liegt das Unesco-Weltnaturerbe: Das Wattenmeer. Hier liegen Fanø und Esbjerg in der Ferne. Man hat das Gefühl, als ob man zu Fuß dorthin gehen könnte.

Gierig saugen wir die frische Meeresluft in uns auf, halten die Nase in den Wind, lauschen dem Rauschen des Seegrases und des Schilfs. Und die Füße tragen uns…

Plötzlich hören wir Kirchenglocken läuten. Wir müssen also in Höhe der Kirche sein. Über den ausgeschilderten Weg gehen wir wieder über den Deich und sind doch noch ein gutes Stück von der im 17. Jahrhundert an dieser Stelle wieder aufgebauten Kirche entfernt. 


Es ist gerade Gottesdienst. Von draußen hörte man feine Orgelklänge. Wir gehen über den Friedhof und bestaunen die wunderschönen Grabsteine, lesen die Inschriften, Jahreszahlen.

„Sein Leben gelassen auf hoher See…“ steht dort. Geschichten entstehen im Kopf bei den eingemeißelten Worten. Mich fröstelt es ein wenig. Mandø erscheint so unproblematisch. Doch bei unserem Spaziergang über die Insel mit Benny an unserem dritten Tag erfahren wir auch viel über die dunkleren Seiten. Insbesondere: Sturmfluten. Eine Sturmflutsäule erinnert die Menschen an den Blanken Hans, der viele Menschen mitgerissen und bei der schlimmsten Sturmflut Anfang des 17. Jahrhunderts das gesamte Dorf dem Erdboden gleich gemacht hat. Letzten Endes zeugt nur die Inschrift der für die Kirche tätigen Geistlichen, dass die Kirche schon vor der großen Manntränke existiert hat – an einem anderen Ort der Insel. Ein hartes Leben muss das gewesen sein, in dem der Sohn des Hauses mit knapp 15 Jahren auf einem Schiff das nötige Geld für die Familie verdienen musste. Paradiesisch war das sicher nicht. 

Aber Benny hat eine wunderbare Art, die schönen Dinge zu sehen, und er ist stolz auf seine Insel. Deutet mal zur einen, mal zu der anderen Seite. Erzählt etwas zu diesem und zu jenem Haus, über die Geschichte der Kirche und der Insulaner, der Kinder auf Mandø – derzeit sind es drei – die zur Schule aufs Festland fahren, jeden Tag – außer bei Hochwasser oder Sturmflut. Denn das ist natürlich immer Thema, Deichschutz wird groß geschrieben. 

Das erzählt uns auch Kirstine auf unserer Seehundsafari, die an unseren zweiten Tag um die Mittagszeit beginnt. Mit dem Pferdewagen fahren wir ins Wattenmeer. 


Dick eingepackt, denn der Wind beißt sehr in die Wangen. Seit Tagen herrscht Ostwind, d. h. der Låningsvej ist fast ganztägig passierbar, und man kann sich gar nicht vorstellen, dass das Meer tosen und toben kann, und die Wellen gierig an den schützenden Deichen lecken können. 

Die tüchtigen Pferde traben beständig über den Weg direkt am Deich vorbei. Dann geht es mit Schwung hinüber, schon von Weitem erkennbar: die Seehunde. 


Die Raubtiere liegen wir Rubensfrauen auf der Seite, eine Flosse gen Himmel gestreckt. Wir zücken die Ferngläser, Kirstine baut eins mit Stativ auf, das die Seehunde so nah heranholt, dass man die Details in dem Fell genau erkennen kann. 

Und auch die erzählt von der Geschichte des Wattenmeeres und der Insel. Immer wieder fliegen Vögel vorbei – Strandläufer und Austernfischer. Eine Robbe ist besonders neugierig und schwimmt auf uns zu, die schwarze Badekappe taucht immer ein Stückchen näher in unserer Richtung auf. 

Doch der einsetzende feine Regen und der Wind lässt uns alle frösteln. Wir klettern wieder auf den Pferdewagen und treten den Rückweg an. Die tüchtigen Rösser merken, dass es wieder nach Hause geht und ziehen uns schneller zurück. Es rumpelt und ruckelt, der Wind beißt, die Nase läuft – doch ein Gefühl macht sich breit: Zufriedenheit! 

Kirstine erzählt gerade, dass die Kinder immer auf dem Rückweg einschlafen, völlig erledigt und gefüllt mit Eindrücken. Mir geht es ähnlich. Und ich denke an den lebensklugen Benny. „Man liebt es nur dann, wenn man mit seinen Gedanken allein sein kann!“, sagt er auf unserem Spaziergang. Ich finde, das ist ein Geschenk.

Als wir wieder in unserer kleinen Ferienwohnung ankommen, schäle ich mich aus den nassen Klamotten, schlüpfe in Jogginghose und dicken Pulli und hänge die Regenjacken in die Dusche. 

Mein Göttergatte, der übers ganze Gesicht strahlt, bereitet Tee zu. Ich kuschele mich in meine Decke, die Teetasse umklammert mit beiden Händen und sorge für Sturm im Teepott. Dann fallen mir die Augen zu…die Gedanken – ganz frei! 

4 Kommentare zu „Mandø – Mit seinen Gedanken allein

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