Leipzig – Frühstück, Buchmesse, Abendessen, Repeat

Freitagmorgen. Ich reibe mir den Schlaf aus den Augen und blicke auf meinen Wecker. Er ist rosa und piept mir ein Liebeslied. Im Bett ist es noch so kuschelig, und draußen ist es so unbehaglich dunkel. Ich schwinge dann doch die Beine aus dem Bett, tappe ins Bad. Mein Vorzeigemodell macht Tee. Es geht heute nach Leipzig. Ein lang gehegter Wunsch geht in Erfüllung: Buchmesse! Eintauchen in fremde Welten, Abenteuer. Horizonte erweitern, Neues entdecken. Der Geruch eines neuen Buches: unbezahlbar! Eau de livre! Ich freu mich wie verrückt.

Der Wind ist eisig kalt und weht uns hart ins Gesicht, als wir gen Auto gehen und die Koffer – einer ist leer und für die Schätze reserviert – ins Auto hieven. Es soll schneien, haben sie im Radio gesagt. Krümeliger Schneeregen kommt uns dann auch etwa 70 km vor Leipzig entgegen. Das bleibt eh nicht liegen, denken wir, doch wir sollten irren. Ab dem frühen Mittag – wir sitzen noch im schönen Café Grundmann und verspeisen ein leckeres Frühstück – schneit es dicke Flocken.

Ein bisschen Leipzig, ein bisschen Wien – dieses Flair weht durch den mit dunklem Holz vertäfelten Raum. Frühstücksduft wabert umher, Kaffee, Eier mit frisch gebratenem Speck, Orangensaft. Unser Tisch ist so klein, dass wir in Etappen essen, doch es ist gemütlich und irgendwie beschaulich, obwohl die Hütte voll ist und die Bedienungen Tablett um Tablett in den Gastraum tragen. Die glutenfreien Brötchen sind köstlich, herrlich weich und duftig, schmecken zu süßem und herzhaftem Belag. Die Eier im Glas sind wachsweich und ausgesprochen lecker, Oliven und Kapernäpfel auf meinem Frühstücksteller „Barcelona“ sind von bester Qualität. Mein Vorzeigemodell bestellt das „Dublin“ und ist sichtlich zufrieden.

An unserem Nachbartisch sitzen drei Geschäftsleute, gegenüber hat Mutti zum Geburtstagsfrühstück geladen und lässt sechs Gläser Sekt kommen – Chin Chin!

Und draußen – fällt der Schnee in dicken Flocken.

Auf unserem Weg zur Pension im nahegelegenen Markkleeberg legt sich das winterliche Weiß schon auf Äste und Büsche. Wir trotzen Väterchen Frost, ziehen uns ein Mäntelchen über und fahren zur Messe. Inzwischen liegen 5 cm Neuschnee. Der Wind bläst eisig, doch in den Messehallen ist es warm. Zum typischen Papiergeruch mischt sich der Geruch von nicht ganz frischem Bratfett und billigen Pommes, süßen Crêpes und Asia-Nudeln. Nicht besonders appetitlich. Doch mit den ersten Ständen kleiner Verlage, den ersten Gesprächen mit Autoren, Herausgebern und Illustratoren ist die olfaktorische Untermalung vergessen. Ich tauche ein wie ein Apnoetaucher in die Tiefsee, ohne Atemgerät, verlangsamter Puls, völlige Aufnahmebereitschaft, die Sinne aufs Schärfste eingestellt.

Kostbarkeiten für den Kopf sind an jeder Ecke zu entdecken; manche liegen etwas verborgener. Es lohnt der zweite, der genauere Blick. Klassiker kindgerecht aufgearbeitet und detailverliebt illustriert, Kochbücher – heutzutage inflationär auf den Markt geschüttet – an den kleinen Ständen jedoch eine kleine, feine Auswahl. Und dazu ein nettes Gespräch, ein Austausch, Blättern im Ansichtsexemplar, und dann doch Technik: das Smartphone gezückt, ein Foto gemacht, ein Lesezeichen eingelegt, ein Eselsohr geknickt. „Schau mal hier! Sieh mal dort! Kennen Sie auch? Wie fanden Sie dies?“ Ein junges Mädchen steht neben mir an einem Aufsteller Hamburger Lesehefte, durchkämmt mit ihrer Freundin die Klassiker. Reclam sei ihr zu Gelb, verkündet sie vehement, doch äußerst charmant und sehr zur Belustigung der Umstehenden.

Wir ziehen weiter, Gang durch Gang, Ecke um Ecke, Reihe durch Reihe. Mein Vorzeigemodell entschließt sich zwischendurch den Trolly aus dem Auto zu holen und kehrt ohne ihn wieder. Mein fragender Blick scheint ihn über die Köpfe der Menschen zu erreichen:

„10 cm Neuschnee und eisiger Wind!“ ist seine Antwort.

Als wir in die nächste Halle gehen, sehen wir die schönste Schneelandschaft, die man sich auf einem Messegelände vorstellen kann. Die hässlichen Absperrgitter sind gekrönt vom funkelnden Weiß, alles ist etwas stiller, leiser und sauberer. Ich träume von einem gemütlichen Sessel vor dem Kamin, meine Ausbeute neben mir ausgebreitet und ein dampfender Becher Tee neben mir. Doch diesen Gang nehmen wir noch mit, sparen uns die letzte Halle für morgen auf, stapfen durch den Schnee zum Auto. Das trägt Schneehaube und hat eine dicke Eisschicht unter den Flocken. Auf den Straßen schlittern wir sachte um die Kurven, erahnen unsere Fahrbahn mehr, als dass wir sie sehen, suchen im Leipziger Kiez einen Parkplatz irgendwo parallel zur Karl-Liebknecht-Straße.

Wie auf Eiern hinken und schlittern wir über den Bürgersteig, öffnen die Tür des ersten Cafés und werden leider enttäuscht: kein freier Platz, es ist Messe.

Als wir wieder draußen in der schneidenden Kälte stehen, spricht uns ein junges Mädel an, ob sie uns helfen könne. Wir faseln von Hunger und Durst und glutenfrei und bekommen kurzerhand zwei Tipps, landen dann in der Symbiose und werden belohnt.

Leipzigs Veganer Treffpunkt ist unglaublich gemütlich, herrlich warm, und es duftet köstlich. Die Speisekarte ist in alte Bücher vom Flohmarkt geklebt, also wähle ich aus „Bildband Brasilien“ den Lupinenburger mit glutenfreiem Brötchen, der Göttergatte die Wirsinglasagne aus „Schloss Sanssouci“. Dazu gibt es Tee aus Nanaminzeblättern und eine Proviant-Spezi. Wir tauen auf, dann freuen wir uns über das köstliche Essen.

Unsere charmante Kellnerin entschuldigt sich für das glutenfreie Brötchen, doch ich finde es ziemlich gut, das Chutney herrlich würzig und die Kàsecreme kräuterig. Die Wirsinglasagne mit Tomaten-Sojahackfüllung duftet verführerisch. Ich spieße meine Gabel hinein und finde auch dieses Gericht grandios. Nach der ersten Kanne Pfefferminztee bin ich aufgetaut und freue mich über den glutenfreien Nachtisch – glutenfreier Buchweizen-Beeren-Crumble mit einer ordentlichen Prise Zimt.

Mit unserer Sitznachbarin aus München kommen wir ins Gespräch und tauschen uns über Sehenswürdigkeiten unserer Wohnorte abseits der touristischen Pfade aus. Schnell werden Papier und Stift gezückt, die Tipps notiert. Das Blut ist derweil in den Bauch gerutscht, die Augen werden müde, der Kopf schwer – wir müssen noch zurück durch den Schnee. Und es hört nicht auf zu schneien.

Als wir in unserer Pension ankommen, heißt es nur noch:

Dusche, Schlafanzug, Bett.

Der Fernseher wiederholt eine Sendung von Hape Kerkeling. Es endet mit „Hurz“.

„Der Wolf. Das Lamm auf der ‚verschneiten‘ Wiese!“ denke ich.

Halb lachend sinke ich in den Schlaf… morgen ist ein neuer Tag.

3 Kommentare zu „Leipzig – Frühstück, Buchmesse, Abendessen, Repeat

  1. Hallo du Liebe, Ein schöner Bericht
    Und, ich wäre so gern dabei gewesen. Jetzt ärger ich mich, dass ich nicht so spontan war…
    Kennst du den Lieblingsleseplatz? https://lieblingsleseplatz.wordpress.com/
    Ich hab in den letzten Tagen ihre Berichte von der Messe gelesen und hatte ernsthaft überlegt, spontan hinzufahren.
    Ja, das mit dem Wetter ist echt verrückt aber es liest sich so, als hättet ihr trotzdem eine Märchenhafte Zeit gehabt. Die Idee mit den Speisekarten, eingeklebt in Büchern, ist so süß! und auch passend, denn die Gerichte lesen sich wie kleine Gedichte. Lecker. Und sie sehen auch so aus. Allein, die Schmetterlings…Äpfel? Das ist echt süß.
    Und nun? Seit ihr mit vollen Koffern, voller abenteuerlicher Schätze, zurückgekehrt? Seid ihr bei Lesungen gewesen? Habt ihr es überhaupt durch den Schnee zurück geschafft oder gibt es jetzt ein verlängertes Wochenende? UND: Warum lese ich eigentlich überall schon von Bärlauch, nur hier ist davon noch keine Spur zu sehen? Das ist doch irgendwie unfair.
    Herzlichste Grüße und eine Herzenswarme Umarmung, vom Marktfräulein. ❤

    Gefällt 2 Personen

    1. Hallo mein liebes Marktfräulein! Ooooh, das wäre ja etwas gewesen! Dann hätten wir uns gesehen. Ach wie schade!!! Aber auf der anderen Seite wärst Du wohl vermutlich in Leipzig gestrandet…das war wirklich ein Chaos. Was für ein paar Flocken Schnee alles anstellen können.
      Aber dann hätten wir Dich unter unsere Fittiche genommen 😉 ja, Du es war sehr, sehr schön!!! Gerade am Freitag. Ich hab mir ein paar Schätzchen gekauft, eine Autobiografie und ein Kochbuch und ein illustriertes Kinderbuch und Leseproben und ein Buch über das Jüdische Berlin. Echt sehr inspirierend!
      Tja und da sind wir dann in diesem veganen Restaurant gelandet, das mich auch so sehr an Dich denken ließ. Die Schmetterlinge waren Pastinaken. Es war wirklich soooooooooo gut! Das wäre DEIN Laden gewesen, aber da hättest Du all Deine Köstlichkeiten anbieten können!
      Nun sind wir wieder zurück. Mit Vollsperrung auf der Rückfahrt, weil die fiesesten Schneeverwehungen auf die Autobahn reichten, stellenweise echt mordsmäßig glatt.
      Übrigens: Bärlauch gibt’s leider auch noch nicht hier. Ich könnte aber auch so langsam auf erstes zartes Grün.
      Du Liebe, ich freu mich, dass ich Dich gedanklich mitnehmen konnte. Bleib dran – der zweite Teil folgt 😘

      Gefällt 1 Person

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s