Tröste Dich, die Stunden eilen,
und was all Dich drücken mag,
auch das Schlimmste kann nicht weilen,
und es kommt ein andrer Tag.
In dem ew’gen Kommen, Schwinden, wie
der Schmerz liegt auch das Glück, und
auch heitre Bilder finden
ihren Weg zu dir zurück.
Harre, hoffe. Nicht vergebens zählest du
der Stunden Schlag: Wechsel ist das Los
des Lebens, und es kommt ein andrer Tag.
(Theodor Fontane 1819 – 1898)
Morgen wären wir nach Dänemark gefahren – ins Herzensland. Wir hätten Frühstück auf der Terrasse genossen, uns den Wind um die Nase wehen lassen, uns ein schattiges Plätzchen gesucht, wenn die Sonne die Wände des Ferienhauses so aufgewärmt hätte, dass man sogar ein kleines bisschen geschwitzt und die Sonnencreme gesucht hätte. Wir wären auf Flohmärkte gegangen. Wir hätten in den Dünen gesessen oder am Flutsaum gestanden und hätten verzückt in die Wellen geschaut – aufs Meer. Wir hätten die Möwen und Strandläufer beobachtet, Muscheln gesammelt und Bernstein gesucht. Wir hätten abends den Kamin angemacht und kurz vorm Schlafengehen doch noch ein herrliches Stück Kuchen gegessen. Dann hätten wir uns in die Decken gekuschelt und wären am nächsten Morgen wieder pünktlich zum Frühstück aufgewacht. Wir wären vielleicht sogar das erste Mal barfuß im Sand gelaufen.
Es gibt Tage, die sind schwerer zu ertragen als andere in dieser Zeit. Solche Tage, an denen das „eigentlich“ so präsent ist, dass man kurzzeitig nicht sieht, wie schön das Wetter doch hier ist, dass der Balkon die prächtigsten Blüten trägt, die gesäten Radieschen bereits sprießen und die Tomatenpflanzen mit aller Macht gen Sonne drängen. Dass die Hummeln emsig fliegen, dass der Raps anfängt zu blühen, dass die Vögel singen und dass sich abends die Sonne in einer nahezu greifbaren Stille auf die Natur herabsenkt.
Überhaupt ist doch die Natur der größte und stärkste Anker in diesen Tagen; und eine andere Form von Gemeinschaft, die bereis viel zitiert wurde, gibt uns in kleinen Teilen etwas, dass man wohl Menschlichkeit nennt. Ich muss an einen Weihnachtsfilm denken, in dem es heißt: „Glauben Sie an Gott?“ Und die Antwort war: „Ersetzen Sie ‚Gott‘ durch ‚Hoffnung‘!“ Das finde ich treffend.
Hoffnung ist wichtig – und ich möchte hier nicht den ziemlich abgenutzten Spruch zitieren. Was gibt uns Hoffnung? Die Natur! Eine Art Gemeinschaft, wie auch immer die aussehen mag! Und ich richte meinen Blick gen Herzensland. Die glücklichen Dänen, die Mit-Erfinder des „friluftsliv“ (Freiheitsleben), was bedeutet, dass man raus in die Natur geht. Was tut also das glücklichste Volk auf diesem Erdball? Es singt! Gemeinsam jeden Morgen zu einer bestimmten Zeit. Egal, ob Du gerade auf dem Sofa liegst, auf Deiner Terrasse stehst, im Supermarkt an der Kasse sitzt, mit Deinem Transporter „systemrelevante“ Dinge durch die Gegend fährst, als Krankenschwester durch die Flure des Krankenhauses gehst, ob Du im Homeoffice arbeitest – Du singst! Und was? Volksweisen!
Das, was bei uns müde belächelt wurde, dass sogar kritisiert wurde – denn wer kennt schon alle Strophen von „Der Mond ist aufgegangen“ – das ist es, was den Menschen dort Hoffnung gibt – und Struktur. In der Woche früh, am Wochenende etwas später. „Husk morgensangen!“ – Denk an den Morgengesang! Was gesungen wird, ist festgelegt – und nahezu 5 Mio. sitzen vor dem Fernseher oder ihrem Smartphone und singen. Hoffnungsvolle Lieder, stimmungsvolle Lieder – Volksweisen.
Was sagt Wikimedia zu Volksweisen? Volksweisen verweisen auf Volkslieder. Nun ja, und dort steht: Ein Volkslied ist ein Lied, das die weitestmögliche Verbreitung in einer sozialen Gruppe und durch diese findet. Volkslieder lassen sich nach musikalischen, sprachlichen, gesellschaftlichen und historischen Merkmalen unterscheiden. Gemeinsame Sprache, Kultur und Traditionen kennzeichnen sie. Regionale Varianten bei Text und Melodie sind möglich. Volkslieder behandeln überwiegend konkrete, wiederkehrende oder alltägliche Situationen, Begebenheiten und Stimmungen des täglichen Lebens. Dabei kann sich die Lyrik von der „gewöhnlichen und rauen Wirklichkeit“, von Freude und Frohsinn, Liebe und Tod, Abschied und Reise, Fremde und Sehnsucht entfernen und sich in einer idealisierten Art und Form zeigen, zum Beispiel bei der Darstellung idyllischer Naturbilder oder einer tragischen Liebe zwischen Prinz und Prinzessin. Volkslieder können diverse Funktionen erfüllen – etwa in Form des Arbeitsliedes (die Arbeit begleitend) oder Ständeliedes (Arbeitsbereiche oder Berufe charakterisierend) oder Hochzeitsliedes (etwa Braut und Bräutigam beglückwünschend oder auf den „heiligen Bund“ moralisch hinweisend).
Und nun muss ich ganz kurz meine deutschen Gene raushängen lassen und meckern: Die Deutschen, die sich eher darüber mokieren, dass sie die einzelnen Strophen von „Der Mond ist aufgegangen“ nicht kennen, aber den lieben langen Tag die unselektierten Corona-News auf ihrem Smartphone verfolgen und Unwahrheiten in die Welt posaunen, sind nicht in der Lage mal alle Strophen dieses Liedes herauszufinden, sich zu einer Uhrzeit auf den Balkon und ins Wohnzimmer oder in den Garten zu stellen und verdammt noch mal ein einfaches Lied mizusingen? Da entfleucht mir nur ein genervtes Pffff…
Singen – meine lieben Leser*innen – ist gut gegen Angst. Ist sogar wissenschaftlich bewiesen. Was wir aber nun mit einem Wissenschaftler machen, der uns seit Corona-Anbeginn durch eine sturmflutartige Zeit geschifft hat…das ist nicht anständig.
Als ich seinerzeit die vierte Klasse meiner kleinen Dorfgrundschule verließ, um dann in die Orientierungsstufe in der benachbarten Kleinstadt zu kommen, wurde ein Abschiedsfest gefeiert. Wir haben eine Volksweise gesungen – „Nehmt Abschied Brüder“, übrigens ist die Melodie von „Auld Lang Syne“.
Nehmt Abschied, Brüder,
ungewiss ist alle Wiederkehr.
Die Zukunft liegt in Finsternis
und macht das Herz uns schwer.
Refrain:
Der Himmel wölbt sich übers Land,
ade, auf Wiedersehn.
Wir ruhen all in Gottes Hand,
lebt wohl, auf Wiedersehn.
Die Sonne sinkt, es steigt die Nacht,
vergangen ist der Tag.
Die Welt schläft ein, und leis erwacht
der Nachtigallen Schlag.
Der Himmel wölbt sich übers Land, (Refrain)
So ist in jedem Anbeginn
Das Ende nicht mehr weit.
Wir kommen her und gehen hin,
und mit uns geht die Zeit.
Der Himmel wölbt sich übers Land, (Refrain)
Nehmt Abschied Brüder, schließt den Kreis,
das Leben ist ein Spiel,
Und wer es recht zu spielen weiß,
gelangt ans große Ziel.
Der Himmel wölbt sich übers Land, (Refrain)
Nun, nachdem dieses Lied gesungen wurde, herrschte eine gewaltige Stille in der Aula der kleinen Schule, und ich kann mich erinnern, dass unsere Eltern und Großeltern sehr gerührt waren. Und anschließend haben wir – jede*r Einzelne – einen bemalten Stein erhalten. Auf der einen Seite war ein Glückssymbol gemalt und auf der anderen Seite stand „Nur Mut!“. Dieser Stein liegt seitdem auf meinem Nachttisch. An dunkleren Tagen drehe ich ihn auf die beschriftete Seite. In diesen Tagen habe ich ihn oft in der Hand. Nur Mut? Ja, nur Mut – alles andere hilft nicht!
Bleibt gesund!
… dein steiniger Lyrik Tritt ist des Blumenmädchens Ostermoosteppich…
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Steinig – fürwahr, das trifft es, liebes Blumenmädchen, aber auch die Chance, wenn man den steinigen Weg annimmt, auf einem Ostermoosteppich gebettet zu werden…
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( > ◡ < )
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Diese Lieder machen Mut. Wer singt bei uns noch die schönen alten Lieder? Alles Wahre, Schöne, Gute gilt ja als „rechts“ .Heute gilt etwas anderes als „volkstümlich“.
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Ja, da hast Du wohl leider recht. Und das ist so schade. Volkstümlich ist ebenfalls negativ belastet, und das finde ich traurig, denn das ist es nicht. Man könnte hier eine Diskussion vom Zaun brechen, doch da kämen nur wieder die zu Wort, die es für ihre Zwecke auslegen. Und dann singe ich die Lieder einfach für mich selbst und mache mir selber Mut!
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Vielen Dank! Auf meinem Blog habe ich heute gerade die 3 Strophen von „Und die Morgenfrühe das ist unsere Zeit..“ aus dem Gedächtnis aufgeschrieben
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