„Manche gehen im Regen spazieren, andere werden einfach nur nass.“
Verfasser unbekannt
Der Kamin verströmt eine Wärme, die nicht nur den Körper wärmt, sondern auch die Seele. Ich sitze auf einem gemütlichen Sofa in einem gemütlichen Ferienhaus an der dänischen Westküste und mache nichts weiter als aus dem Fenster zu schauen und den Regen zu beobachten, der an den Scheiben herabläuft. Ein Rotkehlchen kommt vorbei und setzt sich auf die Lehne des Terrassenstuhls. Ich wickele die Decke etwas fester um mich und atme aus, atme ein, atme wieder aus und nippe dann an meinem Tee. Mein Vorzeigemodell sitzt neben mit und sieht ganz zufrieden aus. Er hat seine langen Beine auf der Recamiere des Sofas ausgestreckt und beobachtet das Rotkehlchen ebenfalls. Oder beobachtet es uns wie wir hier so entspannt auf dem Sofa liegen? So völlig unaufgeregt?
Plötzlich ist der Regen vorbei und durch die dichten Wolken dringen helle Sonnenstrahlen, tauchen den Rasen in herbstliches Licht und lassen das Grün noch grüner erscheinen. Wir schälen uns aus unseren Jogginghosen und schlüpfen in Jeans, Regenmantel und Gummistiefel, nehmen die Pilzkörbchen mit und kleine Behältnisse für Funde aus Wald und Strand, ein kleines Messer und eine Schere, Handschuhe.
Der Strand ist menschenleer. Eine Möwenkolonie sitzt am Flutsaum und schläft. Der Wind trägt die Wellen an Land und hat Schätze dabei – Pelikanfüße, Herz- und Miesmuscheln, Schnecken und sogar einen Bernstein, Krebsscheren und feine Seesterne. Ein Festmahl. Die Strandläufer hüpfen einbeinig über den Sand und rollen los, wenn man ihnen zu nahe kommt. Zwischen den Möwen entdecken wir plötzlich eine Kegelrobbe, die ihren Blick neugierig in unsere Richtung lenkt. Wir halten Abstand – etwas, das man in diesen Zeiten gelernt hat – und betrachten sie aus der Ferne. Die Robbe ist strandbekannt. Ein neugieriges Exemplar, das die Flosse äußerst anmutig in die Luft streckt und den Kopf in Richtung Menschen hebt. Wenn nichts mehr los ist, robbt sie ins Wasser und begleitet die wenigen spazierenden Menschen von den Wellen aus eine Weile, bis sie dann wieder abtaucht und das Weite sucht – oder die Weite?
Ich suche die Weite und bin mir so nah wie seit Wochen nicht mehr. Die Weite ist wohltuend, ebenso wie dieses Meer. Das „Westmeer“ (Vesterhavet) habe ich sosehr vermisst, dass es wehtat, und ich wünsche mir, dass ich diesen Moment nicht vorbeigeht. Ich könnte ewig hier stehen, aufs Meer hinausschauen, den Blick schweifen lassen, mit den Gummistiefeln Kreise in den Sand malen, durch den Flutsaum streifen, Muscheln aufsammeln, das Gesicht in die feuchte Luft halten.
Zwei Austernfischer fliegen mit ihren unverwechselbaren Lauten an uns vorbei gen Süden. Langsam drehen wir uns auch um und gehen zurück.
Wir halten an einem Parkplatz in der Nähe des angrenzenden Waldes und klemmen uns die Körbe unter den Arm. Der Regen hat schon wieder aufgehört und die Sonne taucht die bemoosten Lichtungen in dem Zauberwald in magisches Licht. Überall aus dem weichen Moos – das dick und grün wie ein Teppich vor uns liegt – schießen Pilze, ganze Pilzstädte mit buttrig gelben Kappen. Fliegenpilze mit leuchtend roten Hüten, angebissene Fliegenpilze und Fliegenpilze mit malerischen weißen Tupfen. Es riecht herrlich nach Wald, und das Rauschen der Bäume klingt wie die Wellen am Strand. Immer wieder tun sich kleine Lichtungen auf und wir erblicken sog. Hexenringe – Pilze, die im Kreis stehen. In einem Baumstumpf entdecken wir plötzlich die Herrscherin aller Pilze – hier wohnt Fräulein Fliegenpilz. Das tut sie natürlich nicht. Jedoch wäre ich eine Kinderbuchautorin und -illustratorin – ich würde nahezu überschnappen vor Ideen. Ich fühle mich wie in einem dieser illustrierten alten Bilderbücher, in denen kleine Wichtel und Eichhörnchen um Pilze tanzen und Zwerge stolze Weinbergschnecken vor ihre Kutsche gespannt haben.
Nach einer Weile gelangen wir auf einen matschigen Pfad und sehen links und rechts von uns allerlei Äste auf dem moosigen Boden liegen als mein Vorzeigemodell plötzlich einen gewagten Sprung vollführt – verbunden mit einem „oh!“ dreht er einen Steinpilz aus dem Moos und hält ihn mir triumphierend unter die Nase. Ich habe gar keine Zeit, ihn ausgiebig zu würdigen, denn der große Pilzmann entdeckt bereits die nächsten Steinpilze, und plötzlich sehe auch ich einen wahren Teppich an Steinpilzen. 31 Steinpilze landen in unseren Körbchen, und mit stolzgeschwellter Brust gehen wir zurück zu unserer Kutsche. Heute wird es ein Festmahl geben!
„Welch ein erhabenes Gefühl das doch ist“, sagt mein Vorzeigemodell, als er sich abends über den mit Pasta und Steinpilzen gefüllten Bauch streicht. Er sieht sehr zufrieden aus. „In die Natur zu gehen und sich sein Essen zu suchen.“ Ich nicke zustimmend und erfreue mich an meinem Körbchen mit den dicken Hagebutten der Kartoffel- oder auch Syltrose, die wir auch noch geschnitten haben.
Die Kartoffelrose hat dicke orange- bis tiefrote Hagebutten. Die Büsche wachsen an der dänischen Nordseeküste wie Unkraut und genau genommen sind sie es auch. Die Kartoffelrose ist invasiv und vertreibt die einheimischen alten Sorten. Stehen die Büsche auf keinem Privatgrundstück können die Früchte gern gepflückt werden; als Marmelade oder eingemacht sind sie köstlich zu Käse oder Eis. Zugegeben – das Putzen nimmt einige Zeit in Anspruch. Doch wie steht es in der wunderbaren dänischen Zeitschrift Isabella: Betrachte es als ein Hygge-Projekt, das ein wenig Zeit in Anspruch nimmt.
Aus der September-Ausgabe habe ich mir dann auch einige Tipps für das Putzen der Früchte geholt, und – was soll ich sagen – jeder einzelne ist fantastisch. Benutze Gartenhandschuhe, da die Äste voller Dornen sind und Du Dich böse daran verletzen kannst.
- Schneide die Früchte mit einer Schere am Stiel ab und nimm am besten nur die orangefarbenen Früchte; die roten und tiefroten sind schon zu weich.
- Friere die Früchte ein und entnehme immer nur etwa eine Handvoll aus dem Tiefkühler.
- Benutze für das Putzen Einmalhandschuhe. Jeder, der schon mal eine Begegnung mit Juckepulver hatte, wird sich an das fiese Kratzen und Jucken erinnern.
- Halbiere die gefrorenen Früchte mit einem scharfen Messer und denke daran, die feinen Härchen zu entfernen.
- Kratze die Kerne mit einem kleinen Tee- oder noch besser einem Zuckerlöffel aus der Frucht.
Die Früchte anschließend abwiegen und vorsichtig waschen. Eventuell nicht entfernte Kerne könnt Ihr mit einem kleinen Sieb von der Oberfläche fischen.
Eurer Fantasie sind keine Grenzen gesetzt: Ihr könnt nun Marmelade daraus machen oder die Früchte mit Essig und Zucker und einer Vanillestange zu einer Art Kompott verarbeiten. Das habe ich gemacht und habe mich dafür von dem Rezept aus der Isabella inspirieren lassen.
Ihr braucht:
- 500 g gereinigte Hagebutten (die Hagebutten der Kartoffelrose sind schon ideal, es geht aber auch mit anderen Hagebutten)
- 1 Vanillestange
- 300 g braunen Zucker
- 250 ml Wasser
- 125 ml Apfelessig
- 125 ml Haushaltsessig
- nach Belieben auch etwas Rosmarin oder Thymian
Die Hagebutten in einen Topf geben. Die Vanilleschote vorsichtig halbieren und das Mark herauskratzen, Mark und ausgekratzte Vanillestange zu den Hagebutten geben. Zucker hinzufügen. Beide Essigsorten und Wasser abmessen und ebenfalls hinzufügen. Alles für etwa 20 bis 25 Minuten köcheln – nicht kochen (!) – lassen. Falls sich doch noch kleine Kerne in dem Topf befinden, können diese auch hier noch vorsichtig mit einem kleinen Löffel oder Sieb von der Oberfläche gefischt werden.
Nach der Köchelzeit die Hagebutten noch heiß in saubere, vorbereitete Gläser füllen und luftdicht verschließen. Fertig!
Kühl und trocken aufbewahren.
Wow… ich kenne jemanden, welcher im Glück wäre, würde ich den Keller mit deiner Rezeptumwandlung füllen… *seufz*
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Eeeeeecht??? Wen denn?? 😉
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