Von Schatten und vom Mann im Spiegel, von Überwindungen und einem Cocktail namens Adrenalin

„…weil ein Leben ohne Schatten die Gefahr birgt zu verbrennen!“ (Kimkoi)

Der Dackel liegt auf dem grünen Sessel und schläft seinen Dackelschlaf. Es ist Sonntag, und ich sitze auf dem großen Sofa – das von meinem Vorzeigemodell – vor mir eine Tasse heiße Schokolade mit Marshmallows. Ich bin müde. Eigentlich wollte ich… ja, was wollte ich eigentlich? Wäsche aufhängen, meinen Pulli nähen, für den ich die Einzelteile schon ausgeschnitten habe, mein Stricktop weiter stricken.

Stattdessen sitze ich hier, und Regen prasselt gegen die Fenster. Ich betrachte den Dackel, der selig auf der Seite liegt und ruhig vor sich hinschnorchelt.

Warum eigentlich nicht? denke ich mir. Warum kann ich nicht einfach mal auf dem Sofa sitzen und nichts tun, die Sonne genießen, dem Regen lauschen und einfach mal nichtstun? Eben. Der Staub wird auch morgen noch auf der Fensterbank liegen, die Wäsche kann ich später noch aufhängen. Jetzt hänge ich einfach mal meinen Gedanken nach. Wie beim Yoga.

Wenn ich dienstags auf meiner Matte liege und meine liebe Yogalehrerin sagt: „Lass los!“ fällt mir das manchmal schwer, manchmal leichter. „Lass die Gedanken vorbeiziehen. Betrachte sie. Bewerte sie nicht.“ Aber dazu neigen wir, nicht wahr? Zu bewerten, Meinungen kundzutun, etwas einzuordnen, etwas gut oder schlecht zu finden. Heutzutage muss alles perfekt sein, dauerglücklich, optimiert. Wachstum! Superlative! Perfektionismus! Blinder Aktionismus! Vorauseilender Gehorsam!

Doch Leonard Cohen sang schon: There‘s a crack in everything, that‘s how the light gets in.

Kommen wir nochmal zurück zu den Schatten. Was mich mein Hund lehrt, ist, dass es durchaus Spaß macht über den Schatten zu springen, den eigenen, versteht sich. Denn plötzlich sieht man Dinge, die dahinter liegen.

Und so bleibt der Staub liegen, die Einzelteile des Pullovers bleiben auf dem Tisch, gut – okay, die Wäsche hänge ich auf, die fängt an zu stinken, wenn ich es nicht tue. Der Dackel folgt mir – morgens fällt die Sonne noch nicht so schön ins Schlafzimmer, aber vor dem Kleiderschrank ist ein Fleckchen, in dem er sich räkelt. Ich muss lächeln, der Dackel wirft einen Schatten, einen wunderschönen dackelförmigen Schatten und er schnauft zufrieden. Und wie ich ihn so betrachte, lasse ich los.

Die letzten Wochen waren „einmal Hölle und zurück“. Mein lieber großartiger toller Papa hatte einen Schlaganfall, im Urlaub, auf einem Sonntagmorgen. In seinem geliebten Herzensland war er morgens noch Brötchen holen und Kuchen in Froschform. Er betrat die Ferienwohnung und saß am gedeckten Frühstückstisch, als meine Mama mich auf dem Handy anrief. „Etwas stimmt nicht mit Papa, er spricht nicht!“

Wie eine Schallplatte mit Sprung gab er immer wieder dieselben Worte wieder: „Ich hab heut Morgen… äh…!“ Und als wenn ich 500 km nördlich gewesen wäre, habe ich ins Telefon gerufen: „Mama, geh rüber zu Bodil, ruf einen Rettungswagen! Papa hat einen Schlaganfall!“

Und Mama ging wie ferngesteuert. Bodils Mann Jens rief den Rettungswagen, und innerhalb von drei Minuten war der Rettungswagen da. Meine kleine Mama, mein kleiner Papa – mit Blaulicht und Sirene in Höchstgeschwindigkeit ins Krankenhaus nach Esbjerg.

Was dann geschah – ein Trip durch die Hölle. Mein Vorzeigemodell hörte nur mich am Telefon, schmiss Sachen zusammen, atemlos im Autopiloten. Keine 15 Minuten später saßen wir mit Dackel im Auto und rasten Richtung Dänemark.

Geschworen hatte ich mir, dass es auf diesem meinem Blog nur gute Nachrichten geben soll, nur gute Geschichten. Doch ein Leben ohne Schatten… Ihr wisst schon…

Und was für ein Schatten das war. Wie eine große dunkle Gewitterwolke lag sie dort, drückte uns nieder. Gepaart mit mannshohen Wellen. Hin- und hergeschleudert. Schiffbrüchig, wie man so war, trieben wir auf jede neue Situation und klammerte sich an Bretter und Planken, schluckte Salzwasser und rang nach Atem. Luft!!! Gebt mir Luft! Und wenn das nicht alles schon genug wäre, kämpft mein Vorzeigemodell gegen die Dämonen in seinem Kopf, eingenistet tief in seine Seele. Wie Torsten Sträter einst sagte: „Die dicke fette stinkende Hexe, die sich auf Deine Brust setzt!“

Und so kämpfen wir alle – einer für alle, alle für einen. An unterschiedlichsten Fronten.

Und es ist
Es ist okay
Alles auf dem Weg
Und es ist Sonnenzeit
Ungetrübt und leicht
Und der Mensch heißt Mensch
Weil er irrt und weil er kämpft
Und weil er hofft und liebt
Weil er mitfühlt und vergibt
Und weil er lacht und weil er lebt
Du fehlst
Oh, weil er lacht, weil er lebt
Du fehlst

„Mensch“ – Herbert Grönemeyer

Mein Mann kämpft gegen Dämonen, die dunkle Schatten auf seine Seele legen.

Mein Vater kämpft gegen Dämonen, die ihm die Sprache raubten und ihn hinter den Spiegel zerrten. Mein Papa – der Mann im Spiegel, der plötzlich nicht mehr spricht.

Wir lernen die unterschiedlichsten Bedeutungen von Ja und Nein kennen. Dann plötzlich kommt das erste Wort „Theo“. Therapiedackel. Goldstück. Was erträgst Du momentan? Deine Menschen… Doch Du siehst direkt in die Seele Deiner Menschen. Liebst sie bedingungslos und verstehst sie vollumfänglich.

Und so schippern wir auf hoher Seele – meine liebe, kleine Mama, der Dackel und ich. In einer Nussschale, mit der die Wellen spielen. Und das Meer scheint zornig zu sein. Wir kämpfen und rudern und kämpfen und rudern… bis die Muskeln schmerzen, die Tränen laufen, bis wir schreien gegen den tosenden Wind. Und wir atmen, atmen, atmen… trinken einen Cocktail mit dem Namen Adrenalin.

Und irgendwann tauchen wir auf – die See hat sich beruhigt. Wir treiben zwar immer noch auf offener See, aber wir müssen nicht mehr unablässig rudern und kämpfen.

In den Beibooten sitzen unsere Männer. Wir halten uns an den Händen und Pfoten. Der Wind ist kühl, es könnte frischer werden. Wir rudern Richtung Ufer. Die herbstliche Sonne wirft einen leichten freundlichen Schatten. Lasst uns an Land gehen, den Wellen zuschauen. Wir sind noch nicht ganz am rettenden Ufer – doch wir sind fast dort. Fast.

Rezepte gibt es nicht – nur zwei Empfehlungen (von mir aus auch Werbung):

Die letzten Wochen waren sehr hart. Der Weg ist noch nicht zu Ende gegangen. Was Depressionen bedeuten und wie sie sich anfühlen, das kann man nachlesen in Kurt Krömers Buch „Du darfst nicht alles glauben, was Du denkst“. Nicht nur für direkt Betroffene, sondern für Partner und Angehörige sehr empfehlenswert.

Zum Thema „Schlaganfall“, wie man ihn erkennt und was ein Schlaganfall bedeutet, kann man auf der Seite der Deutschen Schlaganfallhilfe gut nachlesen. Vor allem wichtig ist die Früherkennung. Wenn auch nur der leiseste Verdacht besteht, ruft einen Rettungswagen!

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