Hannover – Linden / Des Landeis Bekenntnis

Ich bin kein Stadtmensch. Ich bin eine Feldmaus – ein Landei!

Stadtmaus und Feldmaus

Ich komme vom Dorf und das ist auch gut so! Städte mag ich gerne mal kurzzeitig besuchen, bin aber froh, wenn ich nach einigen Tagen wieder weg bin. Vor 12 Jahren allerdings zog ich mit meinem Liebsten beruflich bedingt in Niedersachsens Hauptstadt – nach Hannover. Und was so’n richtiges Landei ist – es rollt dann nicht so ganz rund, wenn es zwischen hohen Häusern und Straßenschluchten umherirrt, auf einen betonierten Innenhof blickt und eine Dreiviertelstunde einen Parkplatz suchen muss.

Ein Landei wie ich schaut dann traurig aus dem Fenster und sieht nur andere hohe Häuser – kein Feld, keine Wiese, keinen Wald. Obwohl der Stadtteil, in den wir gezogen sind, sehr begrünt ist, wir schnell in der angrenzenden Masch waren und alles einen dörflichen Charakter hat. Trotzdem war das kleine Landei irgendwann genervt von dem morgendlichen Gekreische der Leute unter dem Schlafzimmerfenster, den nächtlichen Eskapaden der feiernden Bevölkerung (aber bitte doch nicht JEDE Nacht), vom ignoranten Vermieter, der vier Jahre lang einen Balkon versprochen hatte und alles immer weiter verkümmern ließ. Genervt von muffigen Nachbarn, die es nicht müde waren, auch am Vorabend unseres Umzugs (ins Ländlichere!) die Polizei zu rufen, nur weil man den Umzugsbereich mit zwei Stühlen und rot-weißem Flatterband abgesperrt hatte. Das Landei hatte irgendwann gehörig die Schnauze voll und wollte dahin, wo es hingehörte – aufs Land! Diese Erkenntnis dauerte eine Weile, genau genommen 10 Jahre – aber nun, am Stadtrand, im Speckgürtel fühlt sich das Landei schon viel wohler.

Doch heute muss ich auch irgendwie eine Lanze brechen für diese oft als Provinznest bezeichnete Stadt, in die ich niemals ziehen wollte. Aber was heißt denn hier eigentlich „Provinz“ – eine Gegend, die kulturell (im Vergleich zu einer Großstadt) wenig bietet? Nö! Hannovers Innenstadt – darüber reden wir mal nicht… Aber Hannovers Stadtteile, nun ja, die haben ihren Reiz und auch viel Charme.

Hannover hat 51 Stadtteile – ich führe hier nicht alle auf, möchte Euch aber einen Stadtteil  ans Herz legen, weil er einen so besonderen Charme hat. Dieser Stadtteil ist – sollte es Euch einmal nach Hannover verschlagen – einen Besuch wert, und es gibt immer wieder etwas Neues zu entdecken. Das ist:

Hannover-Linden

Das Dorf Linden entstand im 11. Jahrhundert und wuchs im 19. Jahrhundert zur Industriestadt, die 1920 nach Hannover eingemeindet wurde. Linden besteht heute aus den Stadtteilen Linden-Mitte, -Nord und -Süd. Es ist geprägt durch eine vielfältige Gastronomieszene und einen hohen Anteil von Studenten und Bewohnern mit Migrationshintergrund. Das bürgerschaftliche Engagement ist ausgeprägt.
(Auszug aus Wikipedia)

Jeden Dienstag und jeden Samstag findet in Linden ein Wochenmarkt statt, der – meiner Meinung nach – der schönste in ganz Hannover ist. Der Markt zeichnet sich durch viele Biostände aus, Stände mit biologisch-dynamischem Obst und Gemüse, Bio-Wurst- und Fleischwaren, Brot, Käse, Fisch, Blumen. So steht seit vielen, vielen Jahren auch an der einen Ecke immer eine alte Dame mit zahlreichen Blechen selbstgebackenem Kuchen – Streuselkuchen, Zuckerkuchen, je nach Saison Pflaumen- und Rhabarberkuchen.

Mit der Zeit haben sich lockere Bekanntschaften entwickelt; so haben wir „unseren“ Eier- und Kartoffeldealer, einen Brotstand, an dem es laut meinem Hasen das beste Weißbrot weit und breit gibt, und auch unseren Lieblings-Obst- und Gemüsestand:

Aus der Region Hannovers (OT Wennigsen) stehen die freundlichen Mädels und manchmal auch Jungs an diesem wunderschönen Stand mit der vielfältigen Auswahl an biologisch-dynamischem Obst und Gemüse, Eiern und Brot. Ein nettes Wort, ein Rezeptaustausch. Mal etwas Neues ausprobieren? Aber sicher doch – so entstand beispielsweise die Bitterorangenmarmelade im vergangenen Herbst.

Vielfältigkeit, Multi-Kultur, Freundlichkeit – Linden ist ein Kessel Buntes. Kein Einheitsbrei und die immer wieder gleichen Geschäfte. Linden ist individuell. Hier lebt und arbeitet ein kunterbuntes Publikum, hier herrscht eine sehr menschliche und herzliche Atmosphäre, nette Menschen, mit denen man über die Jahre Beziehungen aufgebaut hat – das ist Hannover-Linden.

Ständig entsteht irgendwie irgendwo in diesem Stadtteil etwas Neues. Es ist nicht so, dass hier die Geschäfte wie Pilze aus dem Boden schießen – so wie das mit Matratzen-Geschäften, E-Zigaretten-Läden und Nagel-Studios der Fall ist bzw. war – hier entsteht etwas in langsamem Tempo. Es ist ein bisschen so wie ein genügsames und durchaus positiv gemeintes zielloses Umherstreifen: Und auf einmal steht man vor einem neuen Geschäft. Hier war doch einst ein alter Kiosk, denkt man sich. Das sieht aber nett aus, so direkt am Von-Alten-Garten. Eine gute Idee. Man wirft einen Blick hinein, riecht frisch Gebackenes, setzt sich draußen auf einen alten Stuhl, schaut sich um. Der Grill ist an, Gemüse brutzelt. Die Chefin blickt uns freundlich an. „Ein kleinen Happen zu essen vielleicht? Wie wär’s mit einem Bio-Burger mit Rind oder Lamm aus der Region? Ach glutenfrei? Kein Problem – dann gibt’s mehr Gemüse und das Brot lassen wir weg!“ Man setzt sich, freut sich, lässt den Blick schweifen. Vor dem Gebäude steht eine gut gelaunte Frau, die Fladenbrote backt und sich freut, als ich ihr interessiert über die Schulter gucke. Sie schwenkt und wirft den Teig wie ein italienischer Pizzabäcker. Ihre Augen blitzen als ich ihr sage, dass das toll aussieht. „Das ist mein Job!“ entgegnet sie voller Stolz.

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Ich muss grinsen, schaue mich weiter um: Die Stühle und Sessel sehen alle anders aus, auf den kleinen unterschiedlichen Tischen stehen Wiesenblumen in alten Vasen. Die Mundwinkel ziehen sich nach oben. Schön! Dann kommt das Essen – kleine gebratene Burger, die verführerisch duften. Der Salat herrlich knackig und frisch.

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Als wir gehen, werfe ich einen Blick ins Innere des Kiosks und entdecke wunderschöne Fliesen an der einen Wand. „Alte Fliesen, war echt aufwändig, die zu reinigen, aber sie sehen doch so schön aus!“ sagt die Chefin. Ich nicke – mein Flohmarkt-Liebhaber-Auge schweift umher, mein Herz hüpft vor Freude! Wie schön: Ein neues Kleinod hier im schönen Linden! Ich lächele und wünsche ihr viel Glück. „Kommt bald wieder!“ fordert sie uns auf. „Dann macht Ihr mal ein Picknick im Von-Alten-Garten!“ Und richtig: kleine Bollerwagen mit süßen Kugelgrills stehen bereit. Man kann verschiedene Picknick-Pakete buchen und dann losziehen – ein paar Stunden oder vielleicht auch einen ganzen Tag. Großartig!

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Linden entdecken – das lohnt sich!

 

 

6 Kommentare zu „Hannover – Linden / Des Landeis Bekenntnis

  1. … das klingt nach einer besonders schönen Ecke von Hanover… das Buch habe ich sehr oft meiner Tochter vorgelesen und wir sind beide bekennende Stadtmäuse, die sehr gerne Ausflüge ins Grüne unternehmen 😉

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  2. Liebe Kristina, Bei dem Text muss mein Marktfrauen Herz ja einfach höher schlagen. Zu schön, dass du auch etwas über den Wochenmarkt geschrieben hast. ❤ Ich mag Texte, die die Stimmung des Alltags so wunderbar einfangen wie deiner, weil man in den Worten so richtig schön versinken kann und die Fantasie direkt zu wandern beginnt. Wer braucht da noch einen Fernseher. Ich hab jetzt jedenfalls ein ganz liebevolles Bild von Linden und den Menschen die dort Leben. Wobei dies zum größten Teil wohl der Autorin geschuldet ist, denn die Menschen reagieren ja meist so auf einen, wie man sich selber gibt.
    Ich an deiner Stelle wäre ebenfalls geflohen. Bisher habe ich zum Glück noch nie in einer richtig großen Stadt gelebt, nur gearbeitet. In Köln. Das war Schocktherapie genug, um niemals dorthin ziehen zu wollen.
    Da lobe ich mir mein kleines, grünes Schlebusch, auch wenn es bald Vergangenheit sein wird und ich dann fort bin. Ins nächste Städtchen.
    Ganz liebe Grüße, Ich freue mich schon auf den nächsten Text. 🙂
    Jenny

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    1. Guten Morgen liebe Marktfrau, ich musste auch so an Dich denken, als ich das geschrieben habe. Und Deine Vorstellung „Sie nennen mich Marktfrau“ ist sooo wunderbar! Wenn Du Dein Buch veröffentlichst, stehe ich spätestens knicksend vor Deinem Stand und sage: „Hej Baby 😉 wie wär’s mit einer Tasse Chanel?“ Nein, im Ernst! Ich find’s schön, dass es Dich gibt!

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      1. Dasselbe habe ich heute morgen beim lesen auch gedacht! Es ist schön, dass es dich gibt 🙂
        Hab ebenfalls einen schönen Tag und vielen, lieben Dank.

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